Risse wegen Nachbars Baustelle

Plötzlich ist der Riss da…

Wer in der näheren Umgebung seiner Wohnung eine Baustelle hatte, kennt das Gefühl: Die Wände wackeln, der Boden vibriert und die Gläser im Schrank klirren. Kein Wunder, wenn man in der Folge auch jede Menge Risse in den Wänden sieht. Das war die Baustelle – so denkt man. Ist das wirklich so?

Ursachen für die Risse

Auftretende Risse in Wänden und Decken können viele Ursachen haben. Sie können auch (müssen aber nicht) mit einer Baustelle in der Nachbarschaft zusammenhängen. Häufig auftretende Beanstandungen sind beispielsweise:

Erschütterungen: Ob eine Straße gebaut, saniert oder ein Gebäude errichtet wird, für eine sichere Fundierung ist in den meisten Fällen eine Verdichtung des Untergrunds notwendig. Diese Verdichtung wird mit Plattenrüttlern oder Vibrationswalzen durchgeführt. Die Schwingungen der Geräte auf dem Boden führen dazu, dass sich das Gefüge des Bodens verdichtet und damit eine höhere Tragfähigkeit entsteht. Die Schwingungen übertragen sich jedoch nicht nur unmittelbar unter den Verdichtungsgeräten in den Boden, sondern sind auch in der näheren Umgebung der Maßnahme spürbar.

Obwohl die Gläser im Schrank klirren, sind die Auswirkungen auf das Bauwerk selbst meist weniger spektakulär. Die Ursache liegt in der Frequenz der Schwingungen. Die Hersteller legen ihre Geräte so aus, dass die Verdichtungsfrequenz nicht im Bereich der Bauwerks-Eigenfrequenzen liegt. In der Norm DIN 4150-3 „Erschütterungen im Bauwesen“ wird dieses Thema ausführlich behandelt. Zu Problemen kommt es meist dann, wenn beispielsweise beim Einrütteln von Spundwänden diese auf hartes Gestein treffen und damit weiter reichende Erschütterungen erzeugt werden.

Wie sich bei zahlreichen vorsorglichen Beweissicherungen gezeigt hat, wird durch die Erschütterungen bei unbeteiligten Nachbarn jedoch auch die Sensibilität geschärft. Es werden dann teilweise auch Risse wahrgenommen, die älteren Datums sind.

Grundwasser: Das Grundwasservorkommen im Erdreich kann man sich wie unterirdische Bachverläufe vorstellen. Das Wasser fließt in durchlässigen Schichten und wird durch undurchlässige Bodenbestandteile in der Richtung beeinflusst. Wird eine Baumaßnahme bis in eine Tiefe durchgeführt, wo ein natürlicher Grundwasserverlauf vorhanden ist, kann es zu Änderungen am Verlauf des Grundwassers kommen. Wird beispielsweise ein Abwasserkanal in einem sehr dichten Lehm- oder Tonboden eingebaut, wird in der Folge das Wasser entlang der meist sehr durchlässigen Grabenverfüllung fließen. Oder bei einer Grundwasser Absenkung werden – zumindest während der Maßnahme – Bereiche trocken gelegt, durch die üblicherweise Grundwasser fließt.

Fehlendes Grundwasser führt zur Austrocknung des Bodens und bewirkt ein „Nachsacken“ von darüber stehenden Bauwerken. Insbesondere einseitige oder bereichsweise Setzungen führen dann zu Rissen im Bauwerk.

Abgrabungen und Unterfangungen: Wird die Sohle eines unmittelbar benachbarten Neubaus niedriger als die angrenzenden Bestandsbauten, müssen flache Böschungen eingehalten werden oder der Gebäudebestand muss „unterfangen“ werden. Dabei werden unter den bestehenden Fundamenten neue, tiefer liegende Fundamente eingebaut. Solche Maßnahmen müssen geplant und sehr sorgfältig ausgeführt werden.

In jedem Fall wird in das bestehende Tragsystem des Bestandsbauwerk eingegriffen. Je nachdem, welche Bauart dieses aufweist und wie verformungstolerant die Bauteile sind, kann es zu einer deutlichen Rissbildung kommen.

Vorsorgliche Beweissicherung – Ein Mittel gegen Streit

Steht eine größere Baumaßnahme an oder ein Bauvorhaben, das sehr nahe an Nachbarbebauungen heranreicht, ist eine Beweissicherung vor Baubeginn ratsam. Öffentliche Auftraggeber (z. B. im Straßenbau) planen die Beweisicherung schon bei der Ausschreibung ein.

Im Rahmen der Beweissicherung nimmt ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger die bestehende Bausubstanz auf. Es werden vorhandene Schäden, Unregelmäßigkeiten und z. B. Riss-Systematiken dokumentiert.

Die Beweissicherung ist freiwillig, sie schützt aber sowohl den Bauherrn vor unberechtigten Ansprüchen, als auch den Nachbarn bei auftretenden Schäden. Veränderungen können während oder nach der Baumaßnahme erkannt und bestätigt werden.

Was bleibt, ist Ärger?

Treten Schäden auf und der Bauherr will sie nicht anerkennen oder der Bauherr wird mit Forderungen konfrontiert, die nicht nachvollziehbar sind, ist der Ärger natürlich groß. In vielen Fällen hat sich jedoch gezeigt, dass auch nachträglich festgestellt werden konnte, ob ein Schaden neu oder älteren Datums ist und was die Ursache dafür war.

Ideal ist es, wenn sich der Anspruchsteller und -gegner einigen, gemeinsam einen Spezialisten hinzuzuziehen. Wird ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger beauftragt, können beide Seiten sicher sein, dass eine objektive Bewertung durchgeführt wird. Auch wenn sich die eigene Einschätzung des Sachverhalts nicht bestätigen sollte. Mit Klärung der Ursachen ist der Streit bereinigt und es steht einem guten Kontakt zum neuen Nachbarn nichts im Wege.

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